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Wer sagt hier „Krümel“?

Wenn ich ehrlich bin, fehlen mir in der Corona-Isolation ein wenig die Eingebungen. Was kann ich Neues schreiben? Viel passiert nicht. Meist gleicht ein Tag dem anderen. Die Gedanken kreisen. Man wird dann und wann etwas lethargisch. Man will raus aus diesem Film… wie hieß der noch?… „und täglich grüßt das Murmeltier“. Und ich will auch grad nicht über Isolation und Corona schreiben. Das ist eh allgegenwärtig.

Deshalb möchte ich jetzt etwas anderes, ganz Persönliches mit Euch teilen: Warum heißt der Krümel hier „Krümel“?

Mein Mann und ich haben ihn eigentlich nie so bezeichnet. Wir nutzen meist eine Verniedlichung seines Namens. Er selbst nennt sich (weil sein Kita-Freund ihn so nennt) „Mim“. „Krümel“ war der Kosename, den meine Tante für ihn hatte. So wie sie mich immer „Dicke“ nannte. Das Bild hier erklärt, woher das kam. Der Kosename hielt bis ins Erwachsenenalter. Meine Tante starb im August 2019. Das hat die ganze Familie stark getroffen. Zum einen sicherlich, weil wir eine Tochter, Schwester, Tante und nahe stehende Verwandte verloren haben, zum anderen aber, weil jede unserer einzelnen Beziehungen zu ihr so bewegend und innig, aber schwer belastet waren. Ich habe viel Zeit meiner Kindheit bei meiner Tante verbracht. Sie hat sich – oft mehr als normal wäre – um meinen Bruder und mich bemüht und gekümmert. Immer mehr und deutlicher übernahmen jedoch ihre Zwänge und Sucht die Szenerie.

In meiner Jugend sahen wir uns fast täglich. Sie saß stundenlang am Tresen während meiner Gastro-Schichten, meine Freunde waren ihre, mein Leben ihres. Ich war co-abhängig. Viele Jahre. Ich habe sie überall hin mitgenommen, in der Hoffnung, dass es sie glücklich macht. Und dass sie das vom Trinken abhält. Und sie hat viel für mich getan, nur nicht ihre Sucht bekämpft. Bis ich es beendet habe. Mit einem Ultimatum. Der Alkohol oder ich. Sie entschied sich gegen mich. Wir sahen uns danach nur selten, wenn ich mal in Berlin war. Sie, die frühere Erzieherin, liebte den Krümel sehr, das war offensichtlich. Aber ich war immer in Hab-Acht-Stellung. Zu sehr war ich von meinen negativen Erlebnissen mit ihrer Krankheit belastet. Einen Großteil meines Lebens habe ich mit ihr und ihrer Sucht verbracht. An die Tante vorher, mit der ich viel Spaß hatte und gern zusammen war, konnte ich mich nicht mehr erinnern.

Als dann im Sommer letzten Jahres ein aggressiver Krebs diagnostiziert wurde und ihr noch vier Wochen blieben, war das sehr einschneidend. Das erste Mal hatte sie sich – wenn auch nur ein wenig – geöffnet, und man konnte erahnen, wie das Leben für sie aussah. Als sie genau einen Monat nach der Diagnose starb, war das erschütternd. So viel ungefragt. So viel unausgesprochen. So viel ungesagt. Und auf einmal fing ich an, die Tante, die Freundin, mit der ich früher so viel geteilt und Spaß gehabt hatte, an die ich mich kaum noch erinnern konnte, zu vermissen. Ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihr Düsseldorf zu zeigen, mit ihr ins Kino zu gehen, einkaufen zu gehen. Ihr Tod zeigte uns, was wir schon lange vorher verloren hatten: die Tante, die Schwester, die Tochter, die Freundin. Und dass wir keine Chance mehr haben werden, sie wieder zu bekommen. Jede Hoffnung, dass es sie noch einmal ohne Sucht geben würde, war zerplatzt.

V.l.n.r.: Tante, „die Dicke“, Mama

Wir alle haben an den Verlust noch sehr zu knabbern. Für jeden ist es schwer, damit abzuschließen. Und als ich dann diesen Blog schrieb und mich fragte, wie ich den Zwerg hier nennen kann, ohne seinen Namen zu benutzen, war es völlig klar. Denn sie ist mehr in unseren Gedanken als wir es noch vor einem Jahr gedacht hatten. Mit „Krümel“ ist sie ein Teil dieser Geschichte, meiner Geschichte.

4 Kommentare

  • Mama Mütze

    Die Bilder….wie schön….da war alles noch gut…ich versuche ganz stark mich dran zu erinnern, aber leider 🙁 und da sieht Gitti auch so liebevoll aus….. Ich werd morgen frische Blumen zum Grab bringen 🙂

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