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Crazy German Woman

Dienstagmorgen. 8.30 Uhr. Der Krümel und ich sind auf dem Weg vom Apartment in der 6. auf die 3. Etage zum Postraum. Er im Schlafanzug, ich in Jogginghose und Strickjacke. Die fettigen Haare zum Dutt hochgebunden. Ganz amerikanisch, von oben bis unten im „Undone-Look“ sozusagen. Wir kommen aus dem Raum und treffen auf eine Reinigungskraft. Sie ist vielleicht Ende 20, Anfang 30. Das ist mit dem Nase-Mund-Schutz, den sie trägt, schwer zu schätzen. Das typische Small-Talk startet. Sie: „Hi, guten Morgen! Wie geht‘s?“- Ich: „Guten Morgen! Gut, danke! Und dir?“ – „Gut. Danke.“ Und dann mit Blick auf den Krümel das Übliche: „Ohhhhh. Er ist hinreißend! Wie alt ist er?“ Ich antworte brav und überschwänglich freundlich. Das kann ich ja gut. Und dann wird sie so schnell persönlich, dass es selbst für mich ungewöhnlich ist. Und wer mich kennt weißt, dass ich auch ziemlich zügig recht persönliche Dinge bespreche. Aber sie ist so direkt dabei, dass selbst ich etwas überrumpelt bin und einfach brav weiter antworte.


Sie also: „Ist er dein einziges Kind?“ – „Ähm, ja… bisher… also eigentlich… ja.“ – „Wie alt bist du denn?“ – „39.“ – Ihre dunklen Augen, die mit der Maske noch deutlicher herausstechen, werden groß. „Du hast ihn mit 37 bekommen???“ – „Ähm… ja?!“ Okay, genau genommen war ich noch 36 und wurde erst zwei Monate nach seiner Geburt 37. Aber ich denke dieser kleine Unterschied tut jetzt nichts zur Sache. Ich bin aber leicht unsicher, was genau sie daran so fasziniert. Ich meine, ja, 37 ist spätgebärend. Aber jetzt auch nicht mehr soooo ungewöhnlich. Auch nicht beim Ersten. Und auch nicht sooo dramatisch. Sie scheint völlig irritiert, dass das geht: „Und du hattest keine Komplikationen?“ – „Ähm, nein… also gar keine. Nein. Ja, das Risiko für Komplikationen ist in dem Alter sicherlich erhöht, aber deshalb muss es ja nicht zwingend welche geben.“ – Sie: „Also meine Schwester war so alt bei ihrer ersten Geburt und sie lag sechs Tage in den Wehen.“ – „Puh. Ja. Ich kenne auch jüngere, die auch so lange gebraucht haben. Er (der Krümel) kam ziemlich schnell. Liegt bei uns in der Familie. Meine Mama kam schnell, ich kam schnell, der Krümel auch. Das hatten uns die Hebammen schon prognostiziert als die meine Geburtsgeschichte und die meiner Mutter hörten.“ – „ist das so?“ Ihre Augen werden noch größer.

Wer mich kennt, weiß auch, dass ich mich gern, viel und begeistert über Geburten unterhalten kann. Sie faszinierten mich schon als Kind und ich habe mich viel damit beschäftigt. Sie hatte mich also. Und sie will mehr wissen: „Woher kommst du?“ – „Deutschland“. – „Ist er da geboren?“ – „Ja, in einer Wanne.“ – „Was?“ – „Wanne. Badewanne. Gebärwanne.“ – „WAS???“ – „Ja also. Im Krankenhaus. Im Kreissaal, in einer Badewanne. Im Wasser.“ – Sie weiß nicht mehr, was sie sagen oder fragen soll. Ihr Blick: irritiert. Schockiert. Oder doch fasziniert? Stille. Ich fühle mich wie von einem anderen Stern. Und alt.

Ich habe das Gefühl, diese Wortlosigkeit retten zu müssen. „Ja also, viele Geburtsstationen bieten das heute an. Eine Wanne. Auch im Krankenhaus. Wenn man sich das Krankenhaus also dementsprechend aussucht und die Geburt reibungslos verläuft, geht das. Vielerorts wird versucht, sich mehr auf die natürliche Geburt zu fokussieren und drauf, den Gebärenden unterschiedliche Möglichkeiten zu geben, sich während der Geburt frei zu bewegen und zu tun, was ihnen gut tut, damit der Körper optimal arbeiten kann.“ Ich verzichte darauf, Ihr von meiner Vorbereitung mit Hypno-Birthing zu erzählen. Ich will die nicht komplett überfordern. Sie fängt sich langsam wieder etwas und erzählt: „Meiner ist ein Jahr alt. Ich hatte Glück und habe nur einen Tag in den Wegen gelegen. Das war gut. Aber die Schmerzen waren unglaublich schlimm.“ – „Ja, verstehe ich. Meine waren auch schlimm, aber erst zum Ende hin so richtig und in sehr kurzen Abständen. Und dann ging es aber schnell und das Wasser hat sie erträglicher gemacht.“ – „Wow. Das ist…wow.“ Sie schüttelt ungläubig den Kopf und verabschiedet sich und wünscht alles Gute. Wir verabschieden uns auch. Der Krümel winkt und sagt „Bye bye!“. Ich bin immer noch unsicher, ob sie das jetzt alles gut findet oder schlimm. Ist ja eigentlich auch egal. Aber in Gedanken hänge ich dem Gespräch noch hinterher. Warum habe ich nicht näher gefragt, wie es bei ihr war? Ob es hier nicht diese Angebote gibt? Oder wie es hier überhaupt ist? Ich war einfach zu überrascht, glaube ich. Zu überrumpelt. Schade eigentlich. Das hätte mich doch alles sehr interessiert. Aber gut. Maybe next time. Und jetzt bin ich wahrscheinlich einfach die „verrückte Deutsche“. 

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