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„Andern Kita!!!“

Ich habe es nicht geschafft, während dieser verrückten Wahlwoche ab dem 3.11. eine paar ruhige Minuten und gefasste Worte zu finden für all das, was in meinem Kopf vorgeht. Deshalb komme ich erstmal zu einem Thema, das ich Euch noch schuldig bin: Die erste Kita-Woche. Oh Mann. Die erste Woche war furchtbar. Der Krümel geht ja nur drei Tage die Woche, aber die hatten’s in sich. Und es wurde jeden Tag schlimmer.

Eingewöhnung, was ist das?

Wir erinnern uns: sowieso keine Eingewöhnungszeit hier in den USA. Noch dazu Corona, also niemand in den Räumlichkeiten erlaubt außer den Erzieherinnen und den Kindern. Zumindest durften wir einmal vorher zur Besichtigung rein. Und da lief der Krümel direkt los zum Spielzeug, freute sich und fing glücklich an zu spiele und schien sich direkt wohl zu fühlen. Deshalb entschieden wir uns dann gegen die aufgeräumte, sehr geordnete und pädagogisch wertvoll, aber auch etwas unlustig erscheinende Montessori-Kita und für die kleine, mit Plastik-Spielzeug vollgepackte, laute, fröhliche und von Alexa abgespielter Musik erfüllte Kita. Und dann das: Wir kamen an, hatten alles vorher besprochen. Er freute sich auf Kita und andere Kinder. Und ganz besonders auf die große, begehbare Plastik-Kinderküche mit Sound-Effekten. Doch als wir ankamen und er realisierte, dass ich nicht mit reinkommen würde, war’s vorbei. Er brach schrecklich in Tränen aus und rief nach mir. Natürlich brach es mir das Herz, aber das war auch am Anfang so in der deutschen Kita und dann ging er zu seiner Lieblingserzieherin Nalin, beruhigte sich schnell und alles war gut. Hier gab es nur ein Problem: keine Nalin. Er kannte natürlich Miss D. noch nicht wirklich. Außerdem spricht sie eine andere Sprache. und überhaupt war alles grad neu. Und er hatte einen Schub, sprach viele neue Worte, verhielt sich „erwachsener“… war durcheinander von all den Neuerungen. Und so wurde es nicht besser. Miss D. versuchte vorsichtig, uns zu einem schmerzvollen, aber schnellen Abschied zu zwingen. ich lies sie nur halb gewähren. Aber irgendwann war es vollbracht. Kurze Zeit später bombardierte sie mich mit Nachrichten und Fotos, das er sich sehr schnell beruhigt hätte und „den Spaß seines Lebens hat“. Nur leider sah man ihm den Spaß auf den Bildern nicht so wirklich an. Er schien traurig, sass alleine und spielte, aß, aber ohne zu lächeln. Und das, wo mein Krümel doch eigentlich die ganze Zeit lacht… ich brach im Auto in Tränen aus. Die ganze Situation, seine Traurigkeit, das Gefühl, ihn mit Gewalt von mir zu trenne, ihn einfach dazulassen, ungeachtet seines Weinens und seiner Angst, das brach mir das Herz und fiel mir unheimlich schwer. Damals in Deutschland hatte ich das gar nicht. Das war mir also neu. Aber gut, auch für mich war hier alles neu, und auch ich hatte zu dem Zeitpunkt sechs Monate lang jeden einzelnen Tag mit ihm verbracht. Ich brauchte zwar diese Zeit alleine zum Arbeiten und nutzte sie effektiv, aber er fehlte mir und tat mir leid und ich konnte es kaum erwarten, ihn nach dem Mittagschlaf um 15 Uhr wieder abzuholen. Und wie er sich freute, mich zu sehen. Obwohl ich etwas unsicher war, ob er sich wirklich freute mich zu sehen oder nur darüber dass er endlich abgeholt würde. Wir hatten ihn überstanden. Den ersten Tag. Jetzt würde alles besser, dachte ich…

Es kam Tag zwei: Er weinte nicht mehr einfach nur. Er schrie! Gleiches Spiel, irgendwann einfach losreißen, Miss D. auf den Arm geben. Weg. Im Auto heulen. schlechtes Gewissen haben. Sich Sorgen machen, dass er es einfach nicht mag. Mit meiner Mama telefonieren. Wieder heulen. Beim Abholen: Pure Freude und Erleichterung.

Dunkle Wolken am Kita-Himmel

Und es kam Tag drei: schon am Abend hatten wir drüber gesprochen. Er meinte, er möchte in die Kita. Aber immer wieder stellte sich in unserem Fünf-Vokabel-Dialog heraus, dass er nicht in diese Kita will. Welche aber, keine Ahnung. Und als er verstand, welche Kita wie meinten, fing er an zu weinen. Ich erinnerte mich an meine Zeit in der Kita, in der ich nur am Fenster stand und unter Tränen darauf gewartet habe, dass mein Opa mich wieder abholt. Ich wollte nie in die Kita. Und ich hatte Angst, dass er sich genauso fühlt. Aber er ging doch in Deutschland so gern? Ich verstand die Welt nicht und war seit langem mal wieder sehr unsicher, ob unsere Entscheidung für diese Kita die richtige war. Dann der Morgen des dritten Tages war: Horror!!! Schon beim Reinfahren in den Driveway fing er an zu jammern „Nein! Andern Kita!“… dann wollte ich ihn rausholen. Er brüllte wie am Spieß, klammerte sich erst am Auto, dann an mir fest und schrie „Wegfahren! Weg! Andern Kita!!!“ Welche andere er meinte, konnte er mir immer noch nicht erklären. Wir hatten nur diese eine andere, die Montessori-Kita, noch angeschaut und ich vermutete, er meinte die. Vielleicht weil er dachte, er müsste dort nicht alleine hin, oder sie würden seine Sprache sprechen. Ich weiss es nicht. Seine alte, Düsseldorfer Kita meinte er auf jeden Fall nicht. Das verneinte er nämlich deutlich. Noch auf meinem Arm beim Verabschieden schrie er „Weg“ Mama weg!“ Wegfahren!“ und wollte partout nicht auf Miss D.’s Arm. Sie fing an, ihn damit zu locken, einen Trickfilm zu schauen, wenn er reinkommt. Das zog. aber er liess sich nicht auf den Arm nehmen, sondern wollte nur auf den Boden gestellt werden und nicht angefasst. Er wollte in Ruhe gelassen werden und sich vor den Fernseher setzen. Okay… wenn das erstmal die Lösung ist, soll es so sein. Aber wie lange kann und sollte man das mitmachen? Woran kann es liegen? Er kann sich sich ja ein wenig äussern, aber so richtig eben dann doch noch nicht. Und vor allem nicht insoweit, als dass er Konsequenzen verstehen und Entscheidungen über „welches T-Shirt möchtest Du heute tragen?“ hinaus treffen könnte. Und dann fingen die ganze Gedanken an: Ich weiß, Miss D. ist nicht jedermanns Sache. Sie ist „üppig“ und „laut fröhlich“, kann überwältigend wirken, redet ununterbrochen und ziemlich laut, überhäuft die Kinder mit ihrer Liebe und Aufmerksamkeit. Sie lag mir gleich sehr, aber wurde selbst mir – die ich auch seeehhr gern viel rede – schnell zu viel. Und der Krümel ist etwas ruhiger und sensibler, wenn er irgendwo neu ist. Was, wenn sie ihm einfach nicht liegt? Was, wenn sie „zu viel“ ist? Was, wenn es der voll bepackte Raum ist? Was, wenn es einfach nicht daran liegt, dass etwas „nicht gut“ ist, sondern einfach daran, dass es ihm nicht liegt? Das Haus, der Raum, die Fülle, die Lautstärke, die Erzieherin? Auch, wenn sie sich so viel Mühe gibt, auf Ihre Art. Mein Bauchgefühl sagte mir, es ist ihm zu viel.

Aber wie lange gibt man ihm, dort vielleicht überhaupt erstmal anzukommen? Sich einzugewöhnen? Klar war, wir wollten und konnten (ich musste dringend meine Arbeit nachholen) ihn nicht direkt wieder rausnehmen. Das wäre auch zu früh gewesen. Aber wie lange kann man ihm und uns das zumuten? Wann ist der Punkt, wo es unsere Vertrauensbeziehung negativ beeinflusst? Diese Frage beschäftigte mich sehr. Wir sprachen mit unseren Müttern, mit meinem Bruder, unserer Cousine, mit Freunden… mit und ohne Kinder. Ich mache mir gern ein Bild, indem ich viele Meinungen einhole und mir die Essenz rausziehe. Immerhin wäre eine Meinung nur sehr einseitig, also versuche ich verschiedene anzuhören, um dann eine gute Grundlage für meine eigene Entscheidung zu haben. Außerdem zeigen sich oft schon beim Erläutern des Problems neue Perspektiven und Alternativen auf, nur weil man es laut von sich gibt. Darauf baut ja immerhin die Psychoanalyse auf. Also wenn das nicht hilft… Nach all diesen Gesprächen beschlossen der Mann und ich daraufhin, wir würden erstmal die zweite Woche abwarten und dann – sollte es nicht merklich besser geworden sein – uns nebenbei nach einer anderen Kita umschauen. Spätestens nach vier Wochen ohne Besserung hätten wir ihn erstmal wieder zu Hause gelassen und nicht weiter „gequält“. Außerdem bat ich meinen Mann, ihn in der darauffolgenden Woche mal einen Tag früh in die Kita zu bringen. Vielleicht würde ihm der Abschied von Papa leichter fallen als von mir? Er war eh in einem Schub und wollte nur von mir ins Bett gebracht und getragen werden. Er hing ganz schrecklich an mir in dieser Woche. Und ich wollte auch, dass der Mann es einmal selbst spürt und erlebt. Dieses Schreien, diese Angst, das Wegwollen und Festklammern.

Um ihm bei all der Anstrengung jeden Tag in der Kita ein angenehmes Highlight am Tag zu bieten, unternahmen wir in den ersten beiden Wochen jeden Nachmittag nach dem Abholen etwas Schönes. Spielplatz, Park, Streichelzoo…

Und dann kam die zweite Woche… ich bin ja meist sehr optimistisch. Das versuchte ich auch hier zu sein, aber spürte dieses leichte Gefühl der Angst in der Bauchgegend, dass doch nicht alles gut werden würde. Immerhin lagen jetzt vier Tage „Wochenende“ dazwischen. Wir hatten zwar daran gedacht, ihn zur Eingewöhnung auch den Freitag und Montag zu bringen, um die Pause nicht allzu lang werden zu lassen, aber leider waren das ausgerechnet zwei der wenigen Feiertage hier. Es war also wieder Dienstag und der Morgen sah nicht viel anders aus als die der letzten Woche. Ein bisschen vielleicht. Aber das womöglich auch nur, weil ich nicht mehr im Auto in Tränen ausbrach. Am Mittwoch dann brachte mein Mann den Krümel zur Kita. Ein wenig hoffte ich, dass es großes Drama geben würde, nur damit mein Mann begreifen könnte, weshalb ich so verzweifelt war. Aber das blieb natürlich aus. Murphy’s Law. War ja klar. Na schönen Dank auch. Es war zwar nicht gänzlich einfach, er weinte auch bei ihm schrecklich und wollte offensichtlich nicht rein, aber das Klammern, Schreien und verzweifelte „Wegfahren“-Brüllen gab es nicht. Sollte es tatsächlich besser werden? Die Aussicht auf eine Folge seiner Lieblingsserie „Feuerwehrmann Sam“ schien langsam mehr zu reizen als die Angst vor dieser neuen Umgebung. Und schon am Donnerstag der zweiten Woche ging es mit nur kurzem Weinen und einer schnellen Abschiedsumarmung zügig rein vor den TV. Ich weiß, viele von Euch denken jetzt: OH Du MEINE GÜTE! Fernsehen?!“ Ja genau. so ähnlich hätte ich das vor einem Jahr auch noch gedacht. Aber so schlimm das klingen mag. Ich glaube, es war die Rettung. Es war die eine kleine Sache, auf die er sich da freuen und konzentrieren konnte. Eine Sache, die auf seiner Sprache lief und ihm ein Gefühl der Sicherheit gab. Wo er das ganze fremde Drumherum, was ihn früh überwältigte, ausschalten konnte. Schon ab der dritten Woche ging es auch ohne Fernsehen. Er begann, nicht nur neben den anderen Kindern zu spielen sondern mit ihnen, auch wenn sie alle miteinander in einer fremden Sprache kommunizierten. er kam immer mehr an.

„Good job, großer Junge!“

Der Krümel, wenn er Miss D. nachmacht

Und heute? Wenn wir auf dem Weg in die Kita sind, kommt schon nach zwei Minuten die Frage: „Mama, wann Kita? Endlich da?“ Er geht alleine zur Tür, klingelt, rennt rein und zieht sich aus. Er freut sich auf seine Freunde und gibt mir einen fetten Drücker zum Abschied. Wenn ich ihn nachmittags abhole macht er Luftsprünge vor Freude, erzählt aufgeregt von seinem Tag und wirft allen, inkl. Miss D., Luftküsse zum Abschied zu. Am Wochenende oder nachmittags treffen wir uns immer öfter mit einer seiner Freundinnen und ihrer hinreissenden Mama, die zufälligerweise in Bochum studiert hat und deshalb hervorragendes Deutsch spricht. Er hat einen Riesenspaß in der Kita und ich bin so glücklich, dass wir alle durchgehalten haben und er das so schnell und großartig gemeistert hat. Dazu fällt mir nur sein neuer Lieblingsspruch aus der Kita ein: „Good job!“

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